Digitaler 1. Mai

  • 23.04.2020

Solidarisch ist man nicht alleine - der DGB ruft in diesem Jahr zu einem digitalen 1. Mai auf.

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1. Mai in Zeiten von Corona

Solidarisch ist man nicht alleine

Von Andrea Kocsis

 

Wir leben in denkwürdigen Zeiten: Infolge der Corona-Pandemie ruht das öffentliche Leben. Zum ersten Mal in der 130-jährigen Geschichte des Internationalen Tags der Arbeit werden Gewerkschafter*innen den 1. Mai nicht auf Straßen und Plätzen feiern und nicht zu Kundgebungen aufrufen. Dabei wäre ein Zeichen des solidarischen Miteinanders gerade jetzt so wichtig.

 

Denn einerseits arbeiten Kolleg*innen in den plötzlich als „systemrelevant“ erkannten Berufen wie Pfleger*innen, Kassierer*innen, Einsatzkräfte bei Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten, Beschäftigte bei Ver- und Entsorgungsdiensten, Lkw- wie Busfahrer*innen und viele andere unter erheblichen physischen und psychischen Belastungen bis zum Umfallen, in der Regel für viel zu wenig Geld.

 

Andererseits befinden sich wegen des wirtschaftlichen Shut-Downs inzwischen Millionen Kolleg*innen in Kurzarbeit. Gut, dass wir diese Regelung haben und der Zugang kurzfristig von der Politik vereinfacht wurde. Deshalb ist in Deutschland die Arbeitslosigkeit bisher kaum gestiegen. Aber dennoch ist es bitter für die betroffenen Kolleg*innen. Bei Kurzarbeit Null gibt es gar kein Geld mehr vom Arbeitgeber, sondern nur rund zwei Drittel des bisherigen Nettoeinkommens vom Staat. Eine gemeinsame Lösung mit den Arbeitgebern zur Aufstockung ist an deren Widerstand gescheitert. Um zu verhindern, dass viele etwa ihre Mieten nicht mehr bezahlen können, fordern die Gewerkschaften deshalb Regelungen von der Politik, das Kurzarbeitergeld zumindest für die Zeit der Krise so zu erhöhen, dass wenigstens 80 Prozent des früheren Nettolohns bleiben.

 

Aber natürlich warten wir nicht einfach auf die Politik, sondern setzen uns für gute Regelungen für die Kolleg*innen ein, die in Kurzarbeit gehen müssen. Zwischenzeitlich konnte ver.di u.a. mit Verlagen, für eigenwirtschaftliche Betriebe im öffentlichen Dienst, mit der Deutschen Telekom, im nordrhein-westfälischen Einzelhandel und bei den Häfen und Seehäfen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen für die Zeit der Krise abschließen. Hierdurch werden etwa das Kurzarbeitergeld auf bis zu 100 Prozent des bisherigen Nettoeinkommens aufgestockt, Kündigungsschutz festgeschrieben und Qualifizierungsmöglichkeiten eröffnet.

 

Aber es wird auch eine Zeit nach der Krise geben. Hier werden wir die Arbeitgeber mit Nachdruck daran erinnern, dass Menschen nicht mit Niedriglöhnen abgespeist werden dürfen – nicht nur in den „systemrelevanten“ Berufen, sondern immer und überall. Deshalb werden wir weiter für eine Stärkung der Tarifautonomie kämpfen – durch eine Erleichterung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen, Tariftreueregelungen, Abbau atypischer Beschäftigung und Einschränkung von OT-Mitgliedschaften, bei denen Arbeitgeber zwar im Verband Mitglied bleiben, aber nicht mehr tarifgebunden sind. Ganz besonders ist die Politik gefordert, endlich einen armutsfesten Mindestlohn in Höhe von zumindest 12 Euro durchzusetzen.

 

Vieles von dem wird gerade parteiübergreifend öffentlichkeitswirksam gefordert und versprochen. Wir werden die Politiker*innen nach der Krise nachdrücklich an ihre Worte erinnern.

 

Andrea Kocsis ist stellvertretende Vorsitzende von ver.di und stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Hans-Böckler-Stiftung.